Die Warnungen in diesem Jahr hätten deutlicher nicht sein können: Dürre, Flut, Hungersnot – eine Katastrophe jagte die nächste. Um es mit den Worten von UN-Generalsekretär António Guterres zu sagen: "Wir befinden uns auf einer Autobahn in die Klimahölle und haben unseren Fuß noch auf dem Gaspedal." Oder: "Wir befinden uns im Kampf unseres Lebens – und wir verlieren".
Das 1,5-Grad-Ziel jedenfalls sehen Forschende als nicht mehr realistisch an. Nicht, weil es technisch nicht machbar wäre. Das schon. Sondern, weil die politischen Ambitionen nicht ausreichen.
Trotz der sich multiplizierenden Krisen.
Trotz der deutlichen Worte Forschender aus den Berichten des Weltklimarats IPCC.
Trotz der fossilen Abhängigkeiten zu Autokratien wie Russland – und künftig Katar.
Welche Fort- und Rückschritte Deutschland und die Welt 2022 klimapolitisch gemacht haben, darüber hat watson mit drei bekannten Klima- und Energieexperten gesprochen.
Das Jahr 2022 wurde durch Putins Angriffskrieg in der Ukraine und der damit zusammenhängenden Explosion der Energiepreise von den Themen Energie und Energieabhängigkeit geprägt. Laut Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, hätte dies zu verschiedenen Effekten geführt. Gegenüber watson sagt er:
Dennoch erfolge der Ausbau der Erneuerbaren lange nicht so schnell, wie für den Klimaschutz notwendig. "Und deswegen gibt es auch ein paar Wermutstropfen", erklärt Quaschning.
Obwohl der Angriffskrieg in der Ukraine vor Augen führe, welch drastische Folgen fossile Abhängigkeiten von Autokratien haben können, reagiere die Politik auch jetzt wieder nach alten Mustern: "Wir investieren sehr viel in fossile Infrastruktur. Wir haben eine kontraproduktive Spritpreisbremse gesehen. Und jetzt gibt es einen Gaspreisdeckel, der auch wieder fossile Energien subventioniert und versucht, diese preisgünstig zu halten", kritisiert Quaschning.
Dass die Politik angesichts der Energieknappheit in Panik geriet, findet Quaschning nachvollziehbar. Wäre Deutschland im Winter lahmgelegt worden, hätte das vermutlich zu Verwerfungen im sozialen Bereich bis hin zum Aufstieg von Populist:innen geführt. "Aber mit der Panik ist man dann offensichtlich in einigen Bereichen übers Ziel hinausgeschossen. Wir bauen LNG-Terminals in einer Dimension, wie wir sie vermutlich gar nicht für die Energiewende brauchen."
Quaschnings Fazit: Temporäre schwimmende Gas-Terminals seien angesichts der Energieknappheit nötig gewesen. Bei allen dauerhaften hätte man genauer hinsehen müssen. "Wir wissen eigentlich, dass wir Mitte 2030 klimaneutral sein müssten. Das heißt also, Gas-Lieferverträge, die über 2035 hinausgehen, sind hinsichtlich des Klimaschutzes kontraproduktiv."
Auch die drei Säulen für die künftige Energieversorgung seien bekannt: Solar- und Windenergie in Kombination mit Speichern. "Insofern wären die ersten drei Sachen, die wir jetzt machen müssen: bauen, bauen, bauen", sagt Quaschning. "Je mehr Solaranlagen, Windkraftanlagen und Speicher wir haben, desto schneller werden wir klimaneutral."
"Klimapolitisch ist 2022 nichts passiert", fasst der Klimaforscher und Meteorologe Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel im Gespräch mit watson zusammen. Bei der Weltklimakonferenz COP27 sei nicht einmal über die Reduktion von CO₂ gesprochen worden, "sondern 'nur' über einen Entschädigungsfonds für die Entwicklungsländer". Dabei sei das Senken der Emissionen der beste Schutz vor Klimakatastrophen. Latif ergänzt:
Zwar sei man in Deutschland "ein paar kleine Schritte" in die richtige Richtung gegangen. Aber in China, dem größten CO₂-Emittenten mit einem Anteil von fast einem Drittel an den weltweiten CO₂-Emissionen, steigen die Emissionen noch immer. Latif zufolge müssten sich zumindest die G20 zusammenraffen und ambitionierten Klimaschutz umsetzen – immerhin seien sie für 80 Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich.
"Wir haben keine Zeit mehr, um auf alle zu warten – es braucht jetzt eine 'Allianz der Willigen', die ich seit vielen Jahren fordere, die einfach macht." Der Klima Club von Bundeskanzler Olaf Scholz sei da zumindest ein Anfang.
Aber: "Vorausschauend handeln tun wir nicht. Wir handeln erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist", sagt Latif. Deswegen gehe es jetzt darum, den Menschen auf der einen Seite Angebote zu machen, "die ihnen Freude" machen, aber auch vor Verboten nicht zurückzuschrecken: "Ich habe nichts gegen Verbote, muss ich ganz ehrlich sagen", erklärt Latif. Er ergänzt:
Dazu gehöre auch, dass der Staat wichtige Bereiche, die für das Wohlergehen der Menschen von Bedeutung sind, bei sich hält – und zwar nicht nur im Bereich der Klimapolitik, wie etwa billige und zuverlässige Bahnverbindungen, sondern beispielsweise auch in der Gesundheitspolitik. "Diese ewige Privatisierung ganzer wichtiger Bereiche war immer genau das Falsche", schließt Latif.
"Extremwetter-Ereignisse und teilweise auch Wasserknappheit werden statistisch gesehen zunehmen", erklärt Michael Pahle, Klimaökonom und Arbeitsgruppenleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, gegenüber watson.
Die konkreten Auswirkungen, die durch Nicht-Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels eintreten würden, hingen aber auch davon ab, wie sehr die Welt sich an die klimatischen Bedingungen anpasse: "Wasserknappheiten kann man zum Beispiel managen. In Deutschland stehen wir da allerdings noch ganz am Anfang und gehen recht verschwenderisch mit eigentlich wertvollen Ressourcen um", merkt der Experte an. Pahle ergänzt:
"Ich will mir nicht vorstellen, dass die Menschheit nicht lernfähig ist", sagt Klimaforscher Mojib Latif. Er ergänzt:
Sie bedeute einen Verlust an Biodiversität. Wasserknappheit. Sterbende Wälder. Steigende Meeresspiegel. Dürre. Heftige Unwetter. Trockenheit. Und vieles mehr.
"Wir schaufeln uns unser eigenes Grab", sagt Latif. "Und das Schlimme ist: Die allermeisten wissen das auch. Und trotzdem schaffen wir es nicht, etwas dagegen zu tun."